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GANZ UNTEN
FRÜHER GALT OPEL ALS
SPIESSIG UND LAHM.
DAS WAREN NOCH DIE GUTE
ZEITEN.
VON
RAINER STADLER
Adi
Wüstefeld ist 64 und seinem Traumauto seit 24 Jahre
treu. Diese De-Dion-Hinterachse, die verleiht ihm
>>eine
so besondere Laufruhe und
Stabilität<<,
schwärmt Wüstefeld. Dieser geräumige
Innenraum. Und unter der Motorhaube-
>>da
ist halt noch Platz.<<
452.000 Kilometer auf dem Tacho nie halt ihn der
Wagen im Stich gelassen. Ein Vierteljahrhundert lang keine
Panne, nicht mal ein platter Reifen. Originallackierung,
Originalstoßdämpfer, Originalbremsen. Nie wurde
der Zylinderkopfdeckel abgeschraubt, um die Ventile
nachzustellen. Undenkbar, dass Wüstefeld sich eines
Tages von seinem Diplomat B, Baujahr 77, trennen und ihn am
Ende gegen einen der neueren Opel tauschen würde.
>>Nee,
nee. Das sind keine Klassiker
mehr.<<
Michael Koch ist
33 und geht längst fremd. Im Alltag fährt er einen
Audi 100. Der letzte Opel, den man sich guten Gewissens
kaufen konnte, war der Commodore, sagt Koch. Von seinem
Vater hat er einen geerbt, manchmal holt er ihn aus der
Garage. Der >>nimmt
zwar 17 Liter<<,
dafür ist es >>Autofahren
pur, da hört man noch den
Motor<<.
Unvergesslich, wie Charles Bronson mit dem Teil in Kalter
Schweiß den Berg runternagelt. Aber die heutigen
Opel? Einheitsbrei, viel Plastik, kein Gesicht.
Opel-Nostalgiker wissen wenig Gutes zu berichten, wenn das
Gespräch auf die jüngere Autogeschichte
kommt.
Dabei sind es die
treuesten Fans, die sich an diesem Samstag im August im
historischen Scheunenviertel von Steinhude bei Hannover
sammeln. Mehr als hundert Opel-Besitzer zeigen, was sie
haben: Olympia, Kapitän, Admiral; Modelle aus einer
Zeit, als die Rüsselsheimer Fabrikate noch ihre Fahrer
faszinierten. Wer an dieser Marke hängt, muss in die
Vergangenheit flüchten. So lässt sich das Elend
einer Gegenwart besser verdrängen, die seit gut zwei
Jahrzehnten andauern.
Opel-Fahrer
durften noch nie Mimosen sein. Lange Zeit galten sie als die
Spießer der Nation. Opel? So was fuhren Erdkundelehrer
und Rentner. Aber es kam noch schlimmer: 1970 brachte Opel
den Manta auf den Markt.
Aus heutiger Sicht
waren das noch die guten Zeiten. Im Nachhinein kann Ulrich
Seiffert, viele Jahre Marketingleiter der Adam Opel AG, den
Manta immerhin als Kultobjekt verklären, als
>>ein
Stück Automobilgeschichte<<.
Mit den neuen Modellen hätte er weniger Glück. Das
Einzige, was an den Wagen aus Hessen Emotionen auslöst,
>>sind
die schnittig geformten Außenspiegel am
Mittelklassewagen Vectra<<,
findet der renommierte Hamburger Designer Peter Schmidt. Und
Marketing Systems, ein Unternehmensberater der Autobranche,
ermittelte jüngst, dass Opel den Deutschen
ungefähr so attraktiv erscheint wie der tschechische
Hersteller Skoda. Unter den sogenannten Kaufkräftigen,
so ermittelten Marktforscher, verbindet nur ein trauriger
Rest von zwölf Prozent >>ein
tolles Lebensgefühl<<
mit den Astras und Omegas. Die deutsche Konkurrenz kommt auf
zwei- bis viermal bessere Werte. Ein tiefer Fall für
den 1972 noch größten Autobauer in
Deutschland.
Schuld sind immer
die anderen. Und im Fall von Opel stimmt das sogar: Die
Verantwortlichen für den Niedergang sitzen ausgerechnet
in den USA, dem Mutterland aller Marken. Mit Coca-Cola,
Microsoft, McDonalds eroberten sie die Welt. Opel
dagegen, seit 1929 Tochterunternehmen des amerikanischen
Herstellers General Motors, wurde von seinen US-Managern an
den Abgrund gelenkt. >>Autos
sind für die GM-Führung nichts weiter als
Produkte, um von A nach B zu
kommen<<,
moniert Klaus Franz, Betriebsratchef in Rüsselsheim. So
verkam Opel zur bloßen Ware. Das ist tödlich in
Zeiten der Globalisierung, in denen Opel nicht nur mit VW
und Ford konkurriert, sondern längst auch mit
asiatischen Herstellern wie Kia oder Hyundai.
Erfolgreiche
Autofirmen überlassen es nicht einfach dem Zufall, was
Konsumenten über ihre Marke denken. Aus gutem Grund
mietete Mercedes im August Deichtorhallen um den neuen
Sportwagen SL (Grundpreis: 184.000 Mark) ausgewählten
Gästen zu präsentieren. Nur eine Handvoll
Mercedes-Kunden wird den neuen Silberpfeil ordern, aber
>>im
Kopf jedes Mittelklasselenkers fährt ein Stück SL
mit<<,
meint Alexander Demuth, der zehn Jahre lang die
Öffentlichkeitsarbeit bei Ford in Köln leitete und
jetzt die Automobilbranche berät. Auch der
Massehersteller VW motzt sein Image mit dem Kauf
italienischer Edelmarken wie Lamborghini und Bugatti auf und
bringt demnächst einen Volkswagen jenseits der 100.000
Mark auf den Markt. Ex-VW-Chef Piëch ist
überzeugt, dass sich die Investition ins Image lohnt.
Schon jetzt, zitierte da Wall Street Journal
Piëch im März, könne sein Unternehmen
für ähnlich ausgestattete Modelle
>>um
zehn Prozent mehr verlangen als Opel oder
Ford<<.
Opel dagegen
büßt für seinen miserablen Ruf und schreibt
seit vier Jahren rote Zahlen. Zuletzt machte das Unternehmen
eine Milliarde Miese das schlechteste Ergebnis seit
der Gründung 1899. Vergangenes Jahr verkaufte Opel
410.000 Autos in Deutschland, 110.000 weniger als 1999.
Längst hat der alte Rivale aus Wolfsburg, VW, den
Rüsselsheimer Massenhersteller abgedrängt. Gerade
zieht auch Mercedes vorbei. Bis vor wenigen Jahren bauten
die Stuttgarter nur exklusive Limousinen, heute verkaufen
sie >>enduring
passion<<.
Übersetzt heißt das: Die Leidenschaft für
den Stern soll ein Leben lang andauern, mit Smart und
A-Klasse als Einstiegsmodell.
Als die Amerikaner
kurz vor der Weltwirtschaftskrise 1929 einstiegen, sahen die
Opel-Leute die Übernahme durch GM noch als Rettung. Das
deutsche Familienunternehmen war unter Druck geraten: Der
Autobau wurde immer kostspieliger, die Renditen aber
schmolzen. Die neuen Besitzer teilten den Deutschen gleich
mit, Fertigung und Qualität des hiesigen Automobilbaus
befänden sich ungefähr auf dem Stand der
US-Industrie von 1916. Fortan wurden ein Teil der Motoren in
Übersee entwickelt. Später gaben die Amerikaner
auch das Karosseriedesign vor. Obwohl die Rüsselsheimer
Entwickler lieber die eleganteren Formen italienischer
Modelle imitiert hätten, >>würden
wir gezwungen, Chrombomber zu
bauen<<,
erinnert sich Erhard Schnell, Opel-Designer von 1952 bis
1992. Den Deutschen blieb bis Ende der fünfziger Jahre
der Kleinkram: die Schriftzeichen an den Karossen zu
gestalten oder Leuchten und Aschenbecher im
Innenraum.
Dass sie weit mehr
konnten, bewiesen sie 1965 mit der Vorstellung des GT, der
Billigvariante eines Sportwagens mit 90 PS unter der Haube
und dem Fahrgestell vom Kadett. Zwei Jahre lang hatten die
Designer ohne Wissen der Geschäftsführung an dem
Modell getüftelt. >>Nur
Fliegen ist schöner<<,
texteten die Werber. Der Erfolg überraschte alle
Beteiligten: 103.000-mal verkaufte sich zwischen September
1968 und August 1973 ein Modell, das die Kostenrechner am
liebsten verhindert hätten, weil sie keine Markt
für das Gefährt sahen. Für einen Moment
umwehte den deutschen Vorzeigelangweiler beinahe so etwas
wie südländisches Flair. Doch schon beim
Nachfolgermodell verließ die Manager der Mut, es wurde
nie gebaut.
Austoben durften
sich die deutschen Designer künftig nur noch an
Prototypen. CD und Tech I hießen ihre futuristischen
Konstrukte, die Flügeltüren und Kreiskolbenmotoren
hatten, regelmäßig auf den Messen Furore machten,
nie produziert wurden aber das Image förderten.
Solcherlei weiche Faktoren schlagen sich jedoch nicht sofort
positiv in der Bilanz nieder. Deshalb bekamen es die
Kreativen als Erste zu spüren, wenn die US-Manager in
Rüsselsheim zu sparen begannen.
>>Detroit
ist nun mal Opels Schicksal, da kommt auch kein Designer
vorbei<<,
resümiert Schnell. So mussten sich die Kunden ihr
Lebensgefühl selbst an die Karre schrauben:
zusätzliche Frontleuchten, Breitreifen,
Spoiler.
Der Einfluss der
Amerikaner zeigte sich sogar beim Opel-Logo:
>>Während
meiner Zeit änderte es sich praktisch mit jedem
Modell<<,
erinnert sich Schnell. In den sechziger Jahren etwa mutierte
über Nacht der Zeppelin im Opel-Logo zum Blitz. Der
permanente Wandel der Corporate Identity
>>sollte
wohl Flexibilität
demonstrieren<<,
vermuteten Schnell und seine Kollegen. Die Werber folgten
ebenfalls dem American Way und richteten ihre Kampagne auf
einzelne Modelle statt auf die Marke aus.
Kein Wunder, dass bald niemand mehr wusste, wofür Opel
steht. Selbst die Marketingleute nicht, die bis heute nach
dem griffigen "Claim" fahnden. BMW suggeriert
>>Freude
am Fahren<<.
Audi verspricht >>Vorsprung
durch Technik<<:
Die Ingolstädter demonstrieren zugleich, wie man eine
altbackene Marke zum Leben erweckt. Ferdinand Piëch,
Anfang der achtziger Jahre noch Audi-Chefingenieur,
verbesserte cw-Wert
und Gewicht der Karossen. Die Motoren bekamen mehr PS, die
Audi-Lenker mehr Selbstbewusstsein. Vorbei die Zeiten der
Schmach, als sie sich vor den Lichthupen der BMW- und
Mercedes-Fahrer verkriechen mussten. Heute schreibt Audi
Rekordgewinne.
Wenn es je ein
Image gab, das Opel bis in die jüngste Zeit begleitete,
dann hieß es Zuverlässigkeit. Doch auch dieser
Ruf war ruiniert, als die Motorhauben des Modells Fontera
nicht mehr richtig schlossen und der Astra beim Tanken
zuweilen Feuer spie. Anfang bis Mitte der neunziger Jahre
wurden die Autos schneller in die Werkstätten
zurückgerufen, als sie vom Band rollten. Nur noch
eingefleischte Fans identifizieren sich mit ihrem
gebrechlichen Gefährt. >>Ich
könnte mir nie vorstellen, `ne andere Marke zu
fahren<<,
schreibt >>AstraStef<<
im Internet-Forum für Opel-Anhänger.
>>Da
würde mir was fehlen, wenn nicht mal irgendwo `ne Sache
zu reparieren ist.<<
Die miese Qualität lasten Opel-Leute wiederum ihren
Chefs in Amerika an. Die nämlich waren so berauscht von
den Gewinnen, die Opel während des deutschen
Wiedervereinigungsbooms einfuhr, dass sie die ganze Welt mit
der Marke beglücken wollten. Sie hetzten Opel-Ingeniere
rund um den Globus, um neue Märkte zu erobern. Polen,
Thailand, China, Brasilien. Zu Hause fehlten die Fachleute
für die eigene Entwicklung. Um den Traum vom Weltauto
zu finanzieren, wurde den Rüsselsheimern zudem ein
enges Korsett umgelegt: weniger Kosten, mehr Profit,
höhere Produktivität.
Dem von
GM-Managern erzwungenen Sparkurs fiel alles zum Opfer,
>>was
Spaß macht und zu den Händlern
lockt<<,
rügt des Manager-Magazin: Coupés,
Cabrios, Roadster. Aus der prestigeträchtigen
Oberklasse, in der Opel mit Admiral und Kapitän einst
selbst Mercedes angriff, hat sich der Konzern vor 25 Jahren
mit dem Diplomat verabschiedet. Die deutschen Manager
degenerierten zu Erfüllungsgehilfen dieser destruktiven
Strategie. Oder sie waren einfach nur Abgesandte aus
Detroit, die den Opel-Job als Karrieresprungbrett
verstanden. Jedenfalls rotierte der Opel-Vorstand schneller
als früher die Grünen im Bundestag: fünf
Chefs in den vergangen zehn Jahren. Das einstige
>>Wunderkind<<
Opel, stellte das Wall Street Journal kürzlich
fest, ist nach Jahren amerikanischen Missmanagements ein
Sanierungsfall.
Dennoch
dürfen die Rüsselsheimer wohl nicht auf das
schlechte Gewissen der GM-Manager hoffen. Oder gar auf
Respekt für die langjährige Firmengeschichte. Was
die kühlen Rechner aus Detroit von Tradition halten,
demonstrierten sie voriges Jahr. Nach 103 Jahren stellten
sie die defizitäre Marke einfach ein. Opel feierte im
Januar seinen 102.
Geburtstag.
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