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 aus "Süddeutsche Zeitung Magazin", Nr. 38, 21. September 2001;
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GANZ UNTEN

FRÜHER GALT OPEL ALS SPIESSIG UND LAHM.

DAS WAREN NOCH DIE GUTE ZEITEN.

VON RAINER STADLER

 Adi Wüstefeld ist 64 und seinem Traumauto seit 24 Jahre treu. Diese De-Dion-Hinterachse, die verleiht ihm >>eine so besondere Laufruhe und Stabilität<<, schwärmt Wüstefeld. Dieser geräumige Innenraum. Und unter der Motorhaube- >>da ist halt noch Platz.<< 452.000 Kilometer auf dem Tacho – nie halt ihn der Wagen im Stich gelassen. Ein Vierteljahrhundert lang keine Panne, nicht mal ein platter Reifen. Originallackierung, Originalstoßdämpfer, Originalbremsen. Nie wurde der Zylinderkopfdeckel abgeschraubt, um die Ventile nachzustellen. Undenkbar, dass Wüstefeld sich eines Tages von seinem Diplomat B, Baujahr 77, trennen und ihn am Ende gegen einen der neueren Opel tauschen würde. >>Nee, nee. Das sind keine Klassiker mehr.<<

Michael Koch ist 33 und geht längst fremd. Im Alltag fährt er einen Audi 100. Der letzte Opel, den man sich guten Gewissens kaufen konnte, war der Commodore, sagt Koch. Von seinem Vater hat er einen geerbt, manchmal holt er ihn aus der Garage. Der >>nimmt zwar 17 Liter<<, dafür ist es >>Autofahren pur, da hört man noch den Motor<<. Unvergesslich, wie Charles Bronson mit dem Teil in Kalter Schweiß den Berg runternagelt. Aber die heutigen Opel? Einheitsbrei, viel Plastik, kein Gesicht. Opel-Nostalgiker wissen wenig Gutes zu berichten, wenn das Gespräch auf die jüngere Autogeschichte kommt.

Dabei sind es die treuesten Fans, die sich an diesem Samstag im August im historischen Scheunenviertel von Steinhude bei Hannover sammeln. Mehr als hundert Opel-Besitzer zeigen, was sie haben: Olympia, Kapitän, Admiral; Modelle aus einer Zeit, als die Rüsselsheimer Fabrikate noch ihre Fahrer faszinierten. Wer an dieser Marke hängt, muss in die Vergangenheit flüchten. So lässt sich das Elend einer Gegenwart besser verdrängen, die seit gut zwei Jahrzehnten andauern.

Opel-Fahrer durften noch nie Mimosen sein. Lange Zeit galten sie als die Spießer der Nation. Opel? So was fuhren Erdkundelehrer und Rentner. Aber es kam noch schlimmer: 1970 brachte Opel den Manta auf den Markt.

Aus heutiger Sicht waren das noch die guten Zeiten. Im Nachhinein kann Ulrich Seiffert, viele Jahre Marketingleiter der Adam Opel AG, den Manta immerhin als Kultobjekt verklären, als >>ein Stück Automobilgeschichte<<. Mit den neuen Modellen hätte er weniger Glück. Das Einzige, was an den Wagen aus Hessen Emotionen auslöst, >>sind die schnittig geformten Außenspiegel am Mittelklassewagen Vectra<<, findet der renommierte Hamburger Designer Peter Schmidt. Und Marketing Systems, ein Unternehmensberater der Autobranche, ermittelte jüngst, dass Opel den Deutschen ungefähr so attraktiv erscheint wie der tschechische Hersteller Skoda. Unter den sogenannten Kaufkräftigen, so ermittelten Marktforscher, verbindet nur ein trauriger Rest von zwölf Prozent >>ein tolles Lebensgefühl<< mit den Astras und Omegas. Die deutsche Konkurrenz kommt auf zwei- bis viermal bessere Werte. Ein tiefer Fall für den 1972 noch größten Autobauer in Deutschland.

Schuld sind immer die anderen. Und im Fall von Opel stimmt das sogar: Die Verantwortlichen für den Niedergang sitzen ausgerechnet in den USA, dem Mutterland aller Marken. Mit Coca-Cola, Microsoft, McDonald’s eroberten sie die Welt. Opel dagegen, seit 1929 Tochterunternehmen des amerikanischen Herstellers General Motors, wurde von seinen US-Managern an den Abgrund gelenkt. >>Autos sind für die GM-Führung nichts weiter als Produkte, um von A nach B zu kommen<<, moniert Klaus Franz, Betriebsratchef in Rüsselsheim. So verkam Opel zur bloßen Ware. Das ist tödlich in Zeiten der Globalisierung, in denen Opel nicht nur mit VW und Ford konkurriert, sondern längst auch mit asiatischen Herstellern wie Kia oder Hyundai.

Erfolgreiche Autofirmen überlassen es nicht einfach dem Zufall, was Konsumenten über ihre Marke denken. Aus gutem Grund mietete Mercedes im August Deichtorhallen um den neuen Sportwagen SL (Grundpreis: 184.000 Mark) ausgewählten Gästen zu präsentieren. Nur eine Handvoll Mercedes-Kunden wird den neuen Silberpfeil ordern, aber >>im Kopf jedes Mittelklasselenkers fährt ein Stück SL mit<<, meint Alexander Demuth, der zehn Jahre lang die Öffentlichkeitsarbeit bei Ford in Köln leitete und jetzt die Automobilbranche berät. Auch der Massehersteller VW motzt sein Image mit dem Kauf italienischer Edelmarken wie Lamborghini und Bugatti auf und bringt demnächst einen Volkswagen jenseits der 100.000 Mark auf den Markt. Ex-VW-Chef Piëch ist überzeugt, dass sich die Investition ins Image lohnt. Schon jetzt, zitierte da Wall Street Journal Piëch im März, könne sein Unternehmen für ähnlich ausgestattete Modelle >>um zehn Prozent mehr verlangen als Opel oder Ford<<.

Opel dagegen büßt für seinen miserablen Ruf und schreibt seit vier Jahren rote Zahlen. Zuletzt machte das Unternehmen eine Milliarde Miese – das schlechteste Ergebnis seit der Gründung 1899. Vergangenes Jahr verkaufte Opel 410.000 Autos in Deutschland, 110.000 weniger als 1999. Längst hat der alte Rivale aus Wolfsburg, VW, den Rüsselsheimer Massenhersteller abgedrängt. Gerade zieht auch Mercedes vorbei. Bis vor wenigen Jahren bauten die Stuttgarter nur exklusive Limousinen, heute verkaufen sie >>enduring passion<<. Übersetzt heißt das: Die Leidenschaft für den Stern soll ein Leben lang andauern, mit Smart und A-Klasse als Einstiegsmodell.

Als die Amerikaner kurz vor der Weltwirtschaftskrise 1929 einstiegen, sahen die Opel-Leute die Übernahme durch GM noch als Rettung. Das deutsche Familienunternehmen war unter Druck geraten: Der Autobau wurde immer kostspieliger, die Renditen aber schmolzen. Die neuen Besitzer teilten den Deutschen gleich mit, Fertigung und Qualität des hiesigen Automobilbaus befänden sich ungefähr auf dem Stand der US-Industrie von 1916. Fortan wurden ein Teil der Motoren in Übersee entwickelt. Später gaben die Amerikaner auch das Karosseriedesign vor. Obwohl die Rüsselsheimer Entwickler lieber die eleganteren Formen italienischer Modelle imitiert hätten, >>würden wir gezwungen, Chrombomber zu bauen<<, erinnert sich Erhard Schnell, Opel-Designer von 1952 bis 1992. Den Deutschen blieb bis Ende der fünfziger Jahre der Kleinkram: die Schriftzeichen an den Karossen zu gestalten oder Leuchten und Aschenbecher im Innenraum.

Dass sie weit mehr konnten, bewiesen sie 1965 mit der Vorstellung des GT, der Billigvariante eines Sportwagens mit 90 PS unter der Haube und dem Fahrgestell vom Kadett. Zwei Jahre lang hatten die Designer ohne Wissen der Geschäftsführung an dem Modell getüftelt. >>Nur Fliegen ist schöner<<, texteten die Werber. Der Erfolg überraschte alle Beteiligten: 103.000-mal verkaufte sich zwischen September 1968 und August 1973 ein Modell, das die Kostenrechner am liebsten verhindert hätten, weil sie keine Markt für das Gefährt sahen. Für einen Moment umwehte den deutschen Vorzeigelangweiler beinahe so etwas wie südländisches Flair. Doch schon beim Nachfolgermodell verließ die Manager der Mut, es wurde nie gebaut.

Austoben durften sich die deutschen Designer künftig nur noch an Prototypen. CD und Tech I hießen ihre futuristischen Konstrukte, die Flügeltüren und Kreiskolbenmotoren hatten, regelmäßig auf den Messen Furore machten, nie produziert wurden – aber das Image förderten. Solcherlei weiche Faktoren schlagen sich jedoch nicht sofort positiv in der Bilanz nieder. Deshalb bekamen es die Kreativen als Erste zu spüren, wenn die US-Manager in Rüsselsheim zu sparen begannen. >>Detroit ist nun mal Opels Schicksal, da kommt auch kein Designer vorbei<<, resümiert Schnell. So mussten sich die Kunden ihr Lebensgefühl selbst an die Karre schrauben: zusätzliche Frontleuchten, Breitreifen, Spoiler.

Der Einfluss der Amerikaner zeigte sich sogar beim Opel-Logo: >>Während meiner Zeit änderte es sich praktisch mit jedem Modell<<, erinnert sich Schnell. In den sechziger Jahren etwa mutierte über Nacht der Zeppelin im Opel-Logo zum Blitz. Der permanente Wandel der Corporate Identity >>sollte wohl Flexibilität demonstrieren<<, vermuteten Schnell und seine Kollegen. Die Werber folgten ebenfalls dem American Way und richteten ihre Kampagne auf einzelne Modelle statt auf die Marke aus.
Kein Wunder, dass bald niemand mehr wusste, wofür Opel steht. Selbst die Marketingleute nicht, die bis heute nach dem griffigen "Claim" fahnden. BMW suggeriert
>>Freude am Fahren<<. Audi verspricht >>Vorsprung durch Technik<<: Die Ingolstädter demonstrieren zugleich, wie man eine altbackene Marke zum Leben erweckt. Ferdinand Piëch, Anfang der achtziger Jahre noch Audi-Chefingenieur, verbesserte cw-Wert und Gewicht der Karossen. Die Motoren bekamen mehr PS, die Audi-Lenker mehr Selbstbewusstsein. Vorbei die Zeiten der Schmach, als sie sich vor den Lichthupen der BMW- und Mercedes-Fahrer verkriechen mussten. Heute schreibt Audi Rekordgewinne.

Wenn es je ein Image gab, das Opel bis in die jüngste Zeit begleitete, dann hieß es Zuverlässigkeit. Doch auch dieser Ruf war ruiniert, als die Motorhauben des Modells Fontera nicht mehr richtig schlossen und der Astra beim Tanken zuweilen Feuer spie. Anfang bis Mitte der neunziger Jahre wurden die Autos schneller in die Werkstätten zurückgerufen, als sie vom Band rollten. Nur noch eingefleischte Fans identifizieren sich mit ihrem gebrechlichen Gefährt. >>Ich könnte mir nie vorstellen, `ne andere Marke zu fahren<<, schreibt >>AstraStef<< im Internet-Forum für Opel-Anhänger. >>Da würde mir was fehlen, wenn nicht mal irgendwo `ne Sache zu reparieren ist.<<
Die miese Qualität lasten Opel-Leute wiederum ihren Chefs in Amerika an. Die nämlich waren so berauscht von den Gewinnen, die Opel während des deutschen Wiedervereinigungsbooms einfuhr, dass sie die ganze Welt mit der Marke beglücken wollten. Sie hetzten Opel-Ingeniere rund um den Globus, um neue Märkte zu erobern. Polen, Thailand, China, Brasilien. Zu Hause fehlten die Fachleute für die eigene Entwicklung. Um den Traum vom Weltauto zu finanzieren, wurde den Rüsselsheimern zudem ein enges Korsett umgelegt: weniger Kosten, mehr Profit, höhere Produktivität.

Dem von GM-Managern erzwungenen Sparkurs fiel alles zum Opfer, >>was Spaß macht und zu den Händlern lockt<<, rügt des Manager-Magazin: Coupés, Cabrios, Roadster. Aus der prestigeträchtigen Oberklasse, in der Opel mit Admiral und Kapitän einst selbst Mercedes angriff, hat sich der Konzern vor 25 Jahren mit dem Diplomat verabschiedet. Die deutschen Manager degenerierten zu Erfüllungsgehilfen dieser destruktiven Strategie. Oder sie waren einfach nur Abgesandte aus Detroit, die den Opel-Job als Karrieresprungbrett verstanden. Jedenfalls rotierte der Opel-Vorstand schneller als früher die Grünen im Bundestag: fünf Chefs in den vergangen zehn Jahren. Das einstige >>Wunderkind<< Opel, stellte das Wall Street Journal kürzlich fest, ist nach Jahren amerikanischen Missmanagements ein Sanierungsfall.

Dennoch dürfen die Rüsselsheimer wohl nicht auf das schlechte Gewissen der GM-Manager hoffen. Oder gar auf Respekt für die langjährige Firmengeschichte. Was die kühlen Rechner aus Detroit von Tradition halten, demonstrierten sie voriges Jahr. Nach 103 Jahren stellten sie die defizitäre Marke einfach ein. Opel feierte im Januar seinen 102. Geburtstag. 

 

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